Strategiepapier Bildungsland Sachsen 2030 – Widerspruch von Theorie und Praxis? 

24. Mai 2024. Am 16. Mai wurde das mit Spannung erwartete Strategiepapier Bildungsland 2030 vorgestellt. Als LandesElternRat Sachsen (LER) sehen wir positiv, dass es im Zuge der Entstehung des Papiers zu einem Diskurs und Austausch über bildungspolitische und schulspezifische Fragen und Problemstellungen gekommen ist. Wir finden es richtig und wichtig, dass ein solcher Prozess stattfindet und wünschen uns eine Verstetigung einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der für Sachsen so zentralen Bildungsfrage sowie ein regelmäßiges Hinterfragen und Evaluieren der Ergebnisse.

Die nun vorgestellten Schwerpunkte weisen grundsätzlich in die richtige Richtung. Sie sind jedoch an vielen Stellen unkonkret und unverbindlich und lassen befürchten, dass eine sukzessive Umsetzung einzelner Maßnahmen mangels definierter Zeitschienen erst mit Verzögerung erfolgen wird. Einige Aspekte des Strategiepapiers haben wir in unserem Positionspapier vom Februar sowie in verschiedenen Pressemitteilungen des Jahres gefordert. So ist im Bereich Lernen eine flexiblere, fächerübergreifende und differenziertere Unterrichtsgestaltung ein wichtiges Instrument für die Zukunft. Lehrpläne zu aktualisieren, Lernstände regelmäßig zu bestimmen, um gezielt Lernfortschritte zu ermitteln und kritisch über Leistungsermittlung bzw. -bewertung zu diskutieren, sollte obligatorisch sein und kann nur begrüßt werden. So fordern wir als LER in unserem Positionspapier im Kapitel „Wege zu einem besseren Unterricht“ genau diese Aspekte ein. Im Strategiepapier Bildungsland 2030 erscheint vieles zaghaft und es ist zu befürchten, dass z.B. von den genannten 2-6 Stunden pro Woche für fächerübergreifenden Unterricht ohnehin nur 2 h übrigbleiben werden.

Interessant wird die Umsetzung der Digitalisierung. Während es derzeit von der einzelnen Schule abhängt und es schlicht Zufall ist, ob man gerade eine digital affine Schule besucht oder eine, in der dies keine Rolle spielt, fordern wir ein medienpädagogisches Konzept, das einen Mindeststandard an jeder Schule sicherstellt und auch verbindlich umgesetzt und regelmäßig evaluiert wird. Es darf nicht vom Wohnort abhängen, ob eine medienpädagogische Bildung stattfindet.

Im Bereich Steuerung ist ein Globalbudget und die Stärkung der Schulleitungen zu begrüßen. Auch die Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nur fehlt im Moment der Glaube daran, dass dies an Schulen mit enormen Herausforderungen, wo es vielleicht aktuell gar keine Schulleitung gibt oder wo die Lehrkräfte vor Ort an Ihrer Belastungsgrenze sind und in Größenordnungen Stunden ausfallen, überhaupt gelebt werden kann. Hier bedarf es aus unserer Sicht einer gezielten Unterstützung von Schulen mit Bedarfen und eines Mindeststandards, den alle Schulen erhalten. Auch sind Unterstützungskräfte im ländlichen Raum deutlich schwieriger zu bekommen als im städtischen Raum. Hier sind niederschwellige Angebote und einfache, unbürokratische Hilfen und Ressourcen für die Schulen notwendig. 

Das Konzept betont und delegiert die Umsetzungsverantwortung für viele der geplanten Entwicklungsmaßnahmen an die Schulen und berücksichtigt dabei nicht, dass vor Ort fast überall die Belastungsgrenzen erreicht bzw. längst überschritten sind.

Skeptisch sind wir deshalb, ob es gelingt Anreize zur Übernahme zusätzlicher Aufgaben zu schaffen. Wir sehen hier eine deutliche Entlastung der Lehrkräfte von nicht pädagogischen Aufgaben als zielführend. Diese grundlegenden Entlastungsvorschläge fehlen völlig.

Im Bereich Profession ist die Forderung nach multiprofessionellen Teams zu unterstützen, wobei wir etwas überrascht waren, dass eine Schulleitung, Lehrkräfte und eine Sekretärin schon fast die halbe Miete für ein multiprofessionelles Team sein sollen. Wir dachten immer das sei das Minimum, um eine Schule überhaupt betreiben zu können, aber manchmal machen Kleider eben Leute. Für uns ist entscheidend, wie es gelingt bei knappen Kassen Personalstellen für Assistenzen zu schaffen sowie vor allem die multiprofessionellen Kooperationspartner zu stärken und überall unabhängig ob Stadt oder Land auch einzubinden.

Hinsichtlich der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern wird immerhin der Klassenrat als verbindlich genannt, der LandesSchülerRat Sachsen wird mit einer bekannten Floskel zur Beteiligung erwähnt. Gestärkt werden soll er nicht. Der LER wird in diesem Zusammenhang gar nicht genannt.

Was wir als LER in unserem Positionspapier einfordern und im Strategiepapier vermissen, ist die Idee eines Feedbacksystems an Schule, das Schülerinnen und Schüler, Eltern und auch die Lehrerschaft regelmäßig einbezieht und Rückmeldungen zu den Maßnahmen und zu Lern- und Lehrbedingungen ermöglicht.

Eine ehrliche Bewertung des Prozesses rund um das Strategiepapier Bildungsland wird man wohl erst 2030 vornehmen können, da ist der Name ganz Programm. Das Strategiepapier stellt einige Weichen in die richtige Richtung. Allein es muss jetzt auch Züge geben, die gut ausgestattet werden, um zu fahren. Aus unserer Sicht fehlt die Perspektive auf das Thema chancengerechte Bildung und auch wer sich schnelle Lösungen für die aktuell enormen Herausforderungen vor Ort erhofft hatte, wird enttäuscht sein.

Jetzt braucht es harte Fakten, nämlich Personalstellen, Gelder und Ressourcen, damit sich im Alltag von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften der Widerspruch zwischen theoretischer Beschreibung und dem alltäglichen praktischen Erleben langsam auflöst.